Die alte Frau, oder der Duft der Erinnerungen

21 Mai

"Die Erinnerung ist der Duft der Seele"
 
- Lord John Russel -

 



Während ich in meiner Küche stehe und mit Töpfen, Geschirr und Kochlöffel hantiere, fällt mein Blick oft gedankenversunken auf die Straße vor meinem Fenster. Die Küchenarbeit für einen Zweipersonenhaushalt ist nun einmal nicht besonders anspruchsvoll und geht ganz nebenbei und unkompliziert von der Hand.
In meiner unmittelbaren Nachbarschaft steht ein Beet mit struppigen Sträuchern deren Namen ich nicht kenne, drumherum wächst niedriges Gestrüpp. Mittendrin steht ein Fliederbaum, Luftlinie von meinem Fenster geschätzte zehn Meter. 
Einige Häuser weiter befindet sich ein größeres Seniorenzentrum, deren Bewohner sich oft in unserer Straße die Füße vertreten. In der Regel laufen sie alleine. Sonntags allerdings, wenn die Familie zu Besuch kommt, kann man kleinere Gruppen auf ihrem Spaziergang vom Seniorenheim beobachten. 
Neulich, als der Fliederbaum noch so schön blühte, fiel mein Blick, während ich einen Stapel Teller aus dem Schrank holte, wieder aus dem Fenster. In der Küche duftete es nach einem Strauß frisch gepflückten Wiesenblumen, nach warmen Brötchen aus dem Backofen und leckerem Kaffee. Zufällig beobachtete ich, wie draußen ein Mann seiner Mutter, die mit einer fest um die Knie gestopfte Decke in einem Rollstuhl saß, einen Stängel vom Fliederbaum brach und ihn auf ihre im Schoß gefalteten Hände legte. Die Frau wirkte abwesend, die Schultern waren eingesunken, ihr Blick fest nach unten gerichtet. Diese Geste an sich fand ich schon sehr anrührend, ich konnte nicht wegschauen bevor ich nicht wusste, wie diese Geschichte zu Ende ging.
Plötzlich nahm die Mutter das Zweiglein wahr, nahm es in ihre zittrigen, faltigen Hände, hielt es sich unter ihre Nase und roch andächtig daran. In diesem Augenblick huschte ein beinahe kindliches Lächeln über ihr Gesicht. Sie wirkte beinahe erheitert und glücklich und ganz unglaublich jung. Die Zeit um sie herum schien stehengeblieben zu sein, sie war einige Sekunden lang mit ihren Gedanken weit weg und alleine mit sich. Jede Spur ihrer Müdigkeit war von der einen auf die andere Sekunde wie weggewischt. Erst nach einer kurzen Weile suchte sie den Blick ihres Sohnes. 
 
 
 
Was mag sie in diesem Moment gedacht haben, was geht ihr durch den Kopf habe ich mich gefragt. Weckte der Duft des Flieders Erinnerungen an ihre eigene Kindheit, als sie selbst durch eine von Blumenfeldern und blühenden Hecken durchzogene Landschaft lief? Erzählte er ihr von Spielen und Wettrennen unten blühenden Maibäumen?
Oder schenkte ihr dieser magische Duftmoment vielleicht ein Wiedersehen ihrer geliebter Seelen, die längst aus ihrem Leben gegangen sind? Dachte sie an Familiengeschichten, an ihren Sohn, der als er selbst noch klein war, ihr  am Muttertag einen Arm voller Fliederzweige aus dem Garten überreichte? Erinnerte sie sich an die Stunden auf der maroden Holzbank, auf der sie einst mit ihrem Liebsten saß? Im Schatten eines Maiflieders, die Luft erfüllt vom intensiven, berauschenden Duft?
Dachte sie an all die Orte, an denen sie so glücklich gewesen war?

Diese kleine, große Szene, die ich durch puren Zufall von meinem Küchenlogenplatz aus beobachtete, überwältigte mich jedenfalls auf der Stelle und ließ mich an diesem Tag nicht mehr los. 
 
 
 

  



 

 
Nun bin ich bei weitem keine Gedankenexpertin aber ich bin mir sicher, dass Düfte sowie Blumen die Möglichkeit besitzen, Gefühle ohne Worte auzudrücken. Düfte sensibilisieren, faszinieren, graben sich tief in uns ein und bilden unsere Gemütsbewegungen ab. Sie erzählen Geschichten aus unserer Vergangenheit und beschwören Gefühle herauf, die wir damals, so wie das Mütterchen aus unserer Geschichte, hatten.

Ein tiefer Atemzug an einer gepflückten Blume, an frisch gebackenem Brot, an Vanillepudding oder frisch gebügelter Wäsche kann schon genügen, um unser Erinnerungsvermögen zu aktivieren. Es reagiert augenblicklich und gibt uns ein Stück Vergangenheit zurück. Und was ist schon dabei, sich hin und wieder in schönen Zeiten zu verlieren.

 



Mit dieser kleinen Duftgeschichte und dem schönsten Maiblumen-Potpourri wünsche ich euch nun das allerschönste Restwochenende. Geniesst dieses herrliche Frühsommerwetter und steckt eure Nasen in den fantastischen Blütenzauber. Opulenz und Fülle scheinen in einem einzigen Duft vereint.


                                                                      xox, Meisje





Meine Lieben. Einige Leserinnen haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass sie hier keine Kommentare mehr hinterlassen können. Jemand einen Tipp, wie ich zurück zur alten Kommentareinstellung finde? Ich habe sämtliche Einstellungen überarbeitet, leider ohne Erfolg. Gab es eine Änderung von Blogger, die ich verpasst habe?

So lieben Dank für eure Hilfe ;-*

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13 Kommentare

  1. Burglind Moll-Ebel22. Mai 2022 um 00:08

    Liebe Elke,

    ich bin da ganz bei Dir, Gerüche können so viele Erinnerungen hervorrufen, die wir schon als Kinder kannten und die doch immer wieder einmal hervorkommen. Mir geht es da so z.B. mit frischem Brot. Samstags wurde es immer daheim als Kind beim Bäcker gegenüber geholt und dazu noch ein paar süße Teilchen. Ich kriege diesen Geruch nicht aus der Nase wenn ich mal beim Bäcker bin und denke immer an meine Kindheit.

    Deine Kommentarfunktion geht, ist nur ein wenig umständlich und anders als früher.

    Liebe Grüße und macht Euch einen schönen Sonntag.

    Deine Burgi

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    1. Liebe Burgi, selbst wenn ich mit achtzig noch beim Bäcker vor dem Brotregal stehe, werde ich mich vermutlich an die kleine Bäckerei in unserem Dorf erinnern. Mir geht es da ganz ähnlich wie dir. Danke für deine Unterstützung bezüglich meiner Kommentarfunktion. Ich habe nun noch einmal so ein bisschen herumgetüftelt und hoffe, das es nun wieder ein wenig unkomplizierter ist.
      Liebe Burgi, ich hoffe du hast eine fabelhafte, frühlingshafte und himmelblaue Woche. Ich wünsche sie dir! xox, dein Meisje

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  2. Hallo Elke, ich bin eine stille Leserin, aber heute muss ich mich melden, weil mich Deine Geschichte sehr berührt hat. Ja Düfte rufen bei alten, vllt dementen Menschen so viele Erinnerungen wach.
    Ich arbeite ehrenamtlich in einer Seniorenresidenz.
    Und wir haben dort eine mobile Küche. Mit der stellen wir uns oft in den Wohnbereich der liegenden Bewohner, öffnen die Türen und lassen sie den Geruch von zB frischen Waffeln riechen. Du glaubst gar nicht, wie glücklich wir damit alle machen. Danke für diesen schönen Beitrag.

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    1. Liebe Birgit, es freut mich wirklich sehr, wenn sich auch "anonyme" Leserinnen hier zu Wort melden und ich danke dir von Herzen dafür! Kommentare sind eine Art Applaus, und jede Art von Austausch hier mir jederzeit willkommen ;-)
      Deine Geschichte aus dem Seniorenheim hat mich sehr berührt. Ich sehe vor Augen, wie süße Duftwirbel durch die Flure der Einrichtung wehen, sie selbst die allerwinzigsten Schlupflöcher aufstöbern um um die Nasen der Bewohner zu streichen. Wie sich die Erinnerungs-Düfte bis tief in das Innerste der alten Menschen schleichen, und sich einen Weg vom Kopf ins Herz bahnen ... du lieber Himmel, das geht mir gerade so richtig unter die Haut. Wer denkt sich so etwas geniales aus! Dieses Haus hat wahrlich noch eine Seele, eine Seltenheit, so etwas gibt es wirklich noch... ?
      Hoffen wir, das mit deinem Kommentar etwas ins Rollen gekommen ist. Es wäre jedenfalls zu schön und wünschenswert.
      Dir eine fantastische Restwoche, alles Liebe. Dein Meisje

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  3. Hach, jetzt weiß ich, wie ich bei Dir kommentieren kann liebe Elke,
    ich habe es raus.
    Also, ich bin wieder mit dabei.
    Deine Bilder finde ich heute wieder mal traumschön.
    Wunderbar zart. Dazu passt der Duftgedanke ganz hervorragend.
    Ich liebe den Duft von Rosen, da fühle ich mich direkt in den Garten meines Opas versetzt, dem ich die Blütenblätter der Rosen stibitzt habe um daraus edles Rosenparfüm herzustellen... grins.
    Auch nehme ich für jeden Urlaub ein anderes Parfum mit
    und wenn ich es zu Hause benutze, dann erinnere ich mich immer an diesen einen Urlaub zurück.
    Dir nun einen schönen Abend, lieben Gruß
    Nicole

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    1. Liebe Nicole, ich habe noch etwas an meiner Kommentarfunktion herumgespielt und hoffe, dass es nun wieder ein wenig unkomplizierter ist bzw das es so bleibt und ich nicht nach jedem Post die Einstellungen neu speichern muß. damit hab ich es nicht so ;-)
      Rosen, oh ja, das sagst du was! Wir waren am Wochenende in den Braubacher Rheinanlagen spazieren, weisst ja, Braubach - Rosenstadt. Bist du schon einmal dagewesen? Ich habe meine Nase in unzählige Rosenköpfe mit den schönsten Formen und Farben gesteckt und tüchtig daran geschnuppert ... und wurde im gleichen Augenblick in meine Kindheit katapuliert. Als wir Kinder waren, wurden auf dem Dorf noch Sonn- und Feiertagsprozessionen abgehalten. Wir Mädchen bekamen mit Rosenblättern gefüllte Körbchen in die Hände gedrückt und hatten die Aufgabe, den Weg für den Pfarrer und die Teilnehmer mit duftenden Rosenblättern zu bestreuen ... bis heute denke ich daran, wenn ich an Pfingst-und alten Rosensorten rieche.
      Die Sache mit deinem Urlaubsparfum kommt mir im Übrigen auch sehr bekannt vor ;-)

      Liebsten Gruß, und einen feinen Nachmittag, Meisje

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  4. Ganz vergessen 🙈
    Liebe Grüsse Birgit

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  5. Ach!! Es geht wieder, hurra!! 😃
    Deine Geschichte heute ist ausgesprochen zauberhaft. Mir tun alte Menschen immer furchtbar leid, die wie abwesend und „abgelöscht“ ihr Dasein fristen. Wie schön, wenn ein simpler Blütenzweig so viel bewirken kann!
    Und ja, natürlich: Düfte rufen Erinnerungen wach. Die sind so sehr in unserem Gehirn verankert wie die visuellen Memoiren. Wie oft passiert es einem, dass ein Hauch von Duft plötzlich eine ganze Abfolge von Bildern und Gefühlen in einem auslöst! Bei mir ist es der Duft nach Vanille und Frischgebackenem- da seh ich immer meine Oma, ihre hellblaue Schürze umgebunden und mit roten Bäckchen, in der Küche stehen und Köstliches zaubern. Oder der Duft von frischem Hollunder. Eine Erinnerung an meine Grossmutti. Sie setzte immer die riesigen Blüten unseres alten Hollunderbaumes hinter dem Haus mit Zitrone, Zucker und Wasser an, füllte die Flüssigkeit in alte Glasflaschen, verschloss sie mit einem Korken und einem kunstvoll gebundenen Schnürchen, damit der Korken nicht herausgedrückt wurde- und liess die ganze Geschichte dann eine Weile im Keller stehen. Irgendwann fing die Limo ein bisschen an zu gären und zu prickeln-und wir Kinder durften sie probieren. Herrlich! Und so gibt es noch eine Reihe von Erinnerungs-Düften, die in mir eignetlich nur angenehme Gefühle auslösen.
    In Erinnerungen zu schwelgen ist was Wunderbares- gerade in Zeiten wie diesen, die unbedingt ein paar Tagträume vertragen, die uns zurückbringen in eine Lebensphase, die mitunter doch etwas einfacher, unkomplizierter und heller war….
    Einen wunderschönen Feiertag dir, ganz herzliche Grüsse!

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    1. Hummelchen, du hast dir soooo viel Mühe gegeben, damit das Ding hier am Laufen bleibt. Dafür möchte ich dir erst einmal danken! Du hast deine Dufterinnerungen so schon beschrieben, das ich richtige Bilder vor Augen habe. Zum Beispiel an Omas mit Küchenschürzen, gibt es die heute eigentlich noch? Und Hollunderblütenduft, ach, seufz ... als wir vor Jahren in diese Wohnung gezogen sind, stand direkt vor unserem Schlafzimmerfenster ein riesiger Hollerstrauch, dessen betörender, abendlicher Duft mich in die schönsten Träume katapultiert hat. Bis der Hausmeisterservice kam und in wenigen Minuten alles gründlich zunichte gemacht hat. Praktischer Hausmeisterschnitt. Pflegeleicht, kurz und schmerz ... AUTSCH! Ich habe damals Rotz und Wasser geheult, kein Scherz jetzt, und ich war nach dieser unsinnigen Aktion lange Zeit mit nichts zu trösten. Ja, der Duft des Hollunders ist wirklich mit nichts anderem zu vergleichen.
      Aber auch Vanilleduft lößt bei mir einen hohen Erinnerungsfaktor bei mir aus. Vermutlich stehe ich darum so gerne in meiner kleinen Küchen-Backmanufaktur und vertreibe mir die freien Samstage mit Kuchenbacken.
      Ich stimme dir zu, das in diesen besonderen Zeiten das Tagträumen nicht zu kurz kommen darf. Das sind so kleine, glückselige Gedankenreisen, die so wertvoll und wohltuend sind.
      Dir wünsche ich nun eine ganz fantastische Woche, schicke dir liebe Gedanken und viele herzliche Grüße. xox, dein Meisje

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  6. als klitzekleiner Tipp von mir: ich gehe .-- da ich das Kommentarfunktionsproblem auch hatte und kannte, mit der re Maus auf " unten suchen" dann klappts mit dem KOmmentar, anders nicht! hatte mich damals auch unbändig darüber gegrämt mich nicht bedanken zu können.
    deine heutige Duftgeschichteist zutiefst berührend, sehr zu Herze gehend und wunderschön...sie so zu erlebe, hautnah dabei, könnte man deinen Blick aus dem fenster auch sehen, mpfinden und fühlen und jaha...das Näschen in frischen Holunder am Baum oder in den duftenden Flieder sezten, augen zuund der Traum von Erinnerungen beginnt, wr dafü offen ist kann und wird den Frühsommer - Frühling und Sommer ganz bewusst und anders erleben und genießen können...
    mir gehts jeden Morgen so wenn meine blanken Füße durchs taufrische Nass im bunten Garten automatisch noch im Hemde den Weg ins bunte Grün finden...
    heute hatte ich das Geschenk des Frühsommers in Sachen Holunder...
    selbst jetzt trägt mir der warme Wind die Düfte ins Haus...
    bezaubernde Geschichte..
    danke herzlichst angelface

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    1. Liebste Angelface, tausend Dank für deine Unterstützung mit meinem Kommentarproblem. Ich musste doch schmunzeln, denn ich habe, auf deine Empfehlung hin, "untersuchen" statt "unten suchen" gedrückt und sah plötzlich nur noch Formeln und Hieroglyphen ... Meisje Meisje, wer lesen kann ist klar im Vorteil ;-)))
      Schnell weg, wieder rüber zu den Einstellungen gehuscht und hier und da noch eine andere Funktion getestet ... auf einmal schien es dann zu funktionieren. Ich kann mir nur selber die Daumen drücken, das es so bleibt ...
      Ach Liebes, alleine bei der Vorstellung frühmorgens barfuß durch taufrischen Gras zu laufen, stimmt mich auf der Stelle heiter und leicht. Und dann der Holunderduft, der diese ganz besondere Atmosphäre noch dick unterstreicht ... wow, was für eine fantastische Glückstankstelle du da besitzt ist wirklich mit nichts zu vergleichen. Gedanklich bin ich bei dir, frühmorgendlich im Tau und in den Träumen deiner Erinnerungen ... so schön das du hier gewesen bist! Hab eine himmellblaue Sommerzeit, xox, dein Meisje

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  7. " sorry - dass mein Schreibprogramm heut etwas spinnt....leider hab ich`s erst nach dem kommentieren gesehen...

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